Zurück nach Madagaskar

Madagaskar - Eine Liebe auf den ersten Blick

Dampfende Bergnebelwälder, verwunschene Kaskaden inmitten des Dschungels und geheimnisvolle Tropfsteinhöhlen, in denen große Fruchtfledermäuse umhergeistern.

 

Madagaskar, die exotische Insel im Indischen Ozean, hat mich schon als Teenie in ihren Bann gezogen: Ein GEO-Artikel über das "Nest der Träume" mit seinen seltenen Tieren und Pflanzen - inmitten der einzigartigen, endemischen Natur des Pangalanes-Kanals gelegen - faszinierte mich nachhaltig. Ich studierte Verhaltensforschung. Mein Traum von Madagaskar beschäftigte mich immer noch, als ich mit mittlerweile 23 Jahren als junge Zoologiestudentin auf ihn traf...


Kaffee-romanze

Wir schreiben das Jahr 1998. Schauplatz: Ein in die Jahre gekommener Kaffeeautomat in nächster Nähe zur Herrentoilette in einem zugigen Winkel der Universität Bayreuth - einer dieser typischen Multifunktionsautomaten der 90er Jahre, als man noch mehr für sein Geld bekam als bestellt, weil der Vorgänger eine Gemüsesuppe herausgelassen hatte.

 

Der angewiderte Blick des Studenten in seinen Kaffeebecher spricht Bände.

 

"Auf Madagaskar werden die Kaffeebohnen angeblich ganz frisch über dem Holzfeuer geröstet, hab ich gelesen. Stell dir einfach vor, wie das duftet und schon schmeckt der grausame Automatenkaffee besser!" sagt sie zu ihm.

 

Er dreht sich um, lächelt und sagt: "Das stimmt wirklich. Dieser Duft bleibt für immer im Gedächtnis!"

 

Sie kann ihn nur entgeistert anstarren. Der erste Mann, der tatsächlich wusste, wo Madagaskar auf der Landkarte zu finden war! Der ihren Traum von der fernen Insel im Indischen Ozean gelebt hatte?

 

"Wenn Du willst, zeige ich Dir meine Dias!" offeriert ihr Gegenüber seine imaginäre Briefmarkensammlung und grinst frech. Sein Kaffee mit den Petersilienfetzen ist längst vergessen.


Am Ziel der Träume

6 Monate später sitzen Beppo und ich gemeinsam im Flieger und brechen auf in unser erstes Abenteuer: Unseren Traum von Madagaskar gemeinsam zu leben.


21 Jahre sind seither vergangen, doch wir sind der Insel treu geblieben. Genau wie unsere allererste Begegnung vorbestimmt zu sein schien, sind wir mit der Insel durch Erlebnisse verbunden, die durchaus an Schicksal glauben lassen.

2008 holten wir uns den göttlichen Segen für unser gemeinsames Leben auf Madagaskar und sind seither durch viele Tiefen gegangen.


Ich bemerkte meine erste Schwangerschaft auf Madagaskar, doch unsere Reise fand nach 9 Tagen ihr jähes Ende, weil meine Schwiegermutter plötzlich verstarb. "Schon seltsam, ein Leben kommt und das andere geht," dachte ich bei mir und weinte um die verpasste Gelegenheit, ihr sagen zu können, dass sie zum ersten Mal Oma wird.


Doch wenig später weinten wir auch um unser ungeborenes Kind - missed abortion in der 12. SSW. Die Fehlgeburt - bis heute eine der schmerzhaftesten seelischen Erfahrungen meines Lebens. Ich finde es schade, dass Fehlgeburten bis heute ein Tabuthema in unserer Gesellschaft sind und so wenig offen darüber gesprochen wird. Wenn ich selbst das Thema anspreche, bekomme ich oft das Echo, dass dies sehr viele andere Frauen auch erlebt haben und im Stillen leiden.


Die Geister, die ich rief

Nach unserer Bruchlandung fiel es mir unglaublich schwer, nach Madagaskar zurückzukehren. Zu viele traumatische Erinnerungen waren mit unserer letzten Reise verknüpft.

 

Und doch überwand ich mehrfach für Filmaufnahmen meine Ängste und reiste zuletzt 2011 in den Bergnebelwald von Marojejy, wo ich die seltenen Seidensifakas filmen wollte.

 

 

Und genau hier ereilte mich ein Deja-Vu-Erlebnis der besonderen Art: Ich stellte fest, ich bin schwanger! Wieder Madagaskar, in der wahrlich gottverlassensten Gegend des Planeten. Allein auf mich gestellt - denn Beppo war in Deutschland geblieben. Die Schatten der Vergangenheit waren mit einer Macht zurückgekehrt, die mich lähmte. Ich kramte all meinen Mut zusammen und sagte dem Mitbewohner in meinem Bauch, dass wir es dieses Mal gemeinsam schaffen würden und ich ihn heil nach Hause brächte. Ich habe Wort gehalten, obwohl sich die 6 Wochen dieser Reise wie Kaugummi zogen und die Liebe zu meiner Trauminsel jeden Tag auf die härteste aller Proben gestellt wurde. Zum ersten Mal im Leben wusste ich, was Heimweh ist.


Als ich heimkehrte, war ich in der 10. Woche schwanger. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass ich das kleine Herz im Ultraschall schlagen sah. Drei weitere Wochen lebte ich in der ständigen Angst, mein Schicksal würde sich wiederholen - bis zu dem Tag, als diese Angst von einem weitaus größeren Schatten überdeckt wurde:

Beim Ersttrimesterscreening in der 12. Schwangerschaftswoche waren Auffälligkeiten bei meinen Blutwerten aufgetreten, die auf Trisomie 21 hinweisen konnten. Man riet uns zur Fruchtwasseruntersuchung.

Da hatte ich 3 Monate darum gekämpft und gebangt, mein Baby durchzubringen und dann sollte ich es durch die Amniozentese gefährden? Und was mit dem Ergebnis anfangen - wenn eben nicht alles in bester Ordnung war? 

Für mich stand - schneller als ich mir selbst eingestand - fest, dass die Entscheidung im Herzen längst gefallen war: Ich wollte dieses Kind bekommen und ich wollte keine Fruchtwasseruntersuchung.

Wie aber sah es Beppo? Ich hatte keine Ahnung. Es herrschte eine nie da gewesene Stille zwischen uns. Ich wusste nur mit absoluter Bestimmtheit, dass ich nicht anders konnte: Ich würde das Kind bekommen, komme was wolle. Ich hätte dafür meine Liebe und meine Partnerschaft  geopfert, weil ich mit keiner anderen Entscheidung hätte leben können. Es hätte mich seelisch zerstört, auch dieses Kind zu verlieren.

 

Schließlich war es Beppo, der auf mich zuging und sagte, wir sollten den Termin zur Fruchtwasseruntersuchung absagen. Wir waren eben doch 2 Herzen und eine Seele!


Und seelenverwandt mussten wir wohl auch sein, um weiter gemeinsam durch alle Gezeiten zu rudern. Seit der Geburt unseres Sohnes sind wir durch zahlreiche tiefe Täler gewandert, haben uns im Alltag fast komplett aus den Augen verloren, einsam an verschiedenen Fronten gekämpft, uns wiedergefunden. Noch heute suchen wir nach dem einstigen Selbstverständnis unserer Partnerschaft, das unsere Beziehung früher so stark machte. Wir haben als Paar so viele Federn gelassen. Aber letztlich stehen wir immer noch zusammen, Seite an Seite - mit unserem kleinen Sohn in unserer Mitte, den wir mehr als alles auf der Welt lieben.


Aufbruch

Im Sommer 2018 sind wir gemeinsam mit Flo zurückgekehrt nach Madagaskar, wo laut Überlieferung der Ort allen Ursprungs liegen soll. Hier nahm auch unsere gemeinsame Geschichte vor 20 Jahren ihren Ursprung - vielleicht war das unsere Chance, uns zu erinnern...

 

Man könnte meinen, dass nach unserer langen Afrika-Reise im Jahr 2016 der Aufbruch zu neuen Ufern viel leichter von der Hand geht, als bei der ersten großen Reise.

 

Dem ist absolut nicht so - tausend Ängste und Sorgen beschäftigten mich schon Wochen vor unserer Abreise: Malaria, Tropenkrankheiten, Flo´s vorangegangener drohender Darmverschluss mit Krankenhausaufenthalt...

 

 

Die Liste ließ sich endlos fortführen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt - dachte ich. Doch zunächst schien es so, als hätte ich falsch gedacht.

 

Die Geister der Vergangenheit, die ich bis zu unserer Abreise im Vorbereitungsstress verdrängt hatte, übermannten mich nach unserer Ankunft auf Madagaskar mit solcher Wucht, dass ich zusammenbrach und zum ersten Mal im Leben wirklich nicht mehr aufstehen sondern nur noch aufgeben wollte.

In diesem Moment der völligen Kapitulation erinnerte mich mein Sohn, dass wir uns schon einmal als Team durch Madagaskar gekämpft hatten.

 

Ich streifte das heulende Elend, das ich war, in dem Hotelzimmer in Morondava ab und begann, mich ganz darauf einzulassen, mit unserem besonderen Sohn diese besondere Insel mit anderen Augen zu sehen. Gemeinsam ließen wir die Schatten der Vergangenheit endlich hinter uns und entdeckten unsere Trauminsel Madagaskar neu.


Der andere Blickwinkel

Flo verfügt über die einzigartige Gabe, jeden Moment zu leben. Er ist der Meister darin, sich auf Neues einzulassen. Von ihm konnten wir viel über Gelassenheit und Gleichmut lernen, wenn nicht alles nach Plan A (und meist auch nicht nach Plan B) verlief und wir in einer Sackgasse landeten. Flo ist genau das "Reise-Kind", dass wir uns immer erträumt hatten. Unser größter Wunsch wurde uns zweifelsfrei erfüllt. Es ist kein Zufall, dass er bei uns "gelandet" ist. Er ist die Summe unserer Teile, wenn sie auch manchmal etwas ungeschickt kombiniert sein mögen - und das dann auch noch mit 3 potenziert: Vom Vater den Dickkopf und von der Muttter die absolute Orientierungslosigkeit in die Wiege gelegt zu bekommen - eine wirklich bedenkliche Mischung, wenn man in unbekanntem Terrain völlig planlos darauf besteht, die Führungsrolle zu übernehmen!


Learning to Fly

Dass Flo auf dieser Welt ist, ist ein Geschenk. So schwierig sich der Alltag auch manchmal gestalten mag, haben wir es trotzdem noch keinen Tag bereut, damals die Entscheidung gegen die Fruchtwasseruntersuchung und weitere Schritte getroffen zu haben - denn ein Leben ohne ihn, wäre ganz einfach nicht unser Leben.


Alte Liebe rostet nicht

Tierbegegnungen

In dampfenden Regenwäldern, Tropfsteinhöhlen und Felsschluchten

begegnete Flo seltenen Tieren hautnah und entdeckte seine Liebe zur Natur ganz neu.

Neugier

Nachts mit den Stirnlampen durch den Regenwald zu streifen auf der Suche nach nachtaktiven Tieren, weckte seinen Forscherdrang - aktuell will er ein großer Entdecker oder Tier-Fotograf werden.

Freundschaft

Er schloss Freundschaft mit Andrijanina,  mit dem wir viele Abenteuer erlebten. Das ungleiche Paar wurde liebevoll "Twin malagasy" (= die madagassischen Zwillinge) genannt.



Wo ein Wille

Die Madagassen nannten Flo bezeichnenderweise "maflo be" (=großer Sturkopf), was auf die feine Beobachtungsgabe der Einheimischen schließen lässt! Genau wie der Dickschädel unseres Sohnes niemals Grenzen kennt, ließ er sich auch weder vom schwierigen Gelände im feucht-glitschigen Regenwald, noch von 6 Stunden Märschen in die Schranken weisen und überraschte uns mit einer ganz neuen, bis dato unentdeckten Seite: Dem unbedingten Willen, das zu schaffen, was er sich vorgenommen hatte! Unser sonst eher gemütlicher Totalverweigerer reifte in Madagaskar zum zähen Marathon-Man, der uns in den steilen Bergwäldern locker abhängte.


Zukunftsvisionen

Der schönste Beweis, dass nun auch Flo´s Herz für Madagaskar schlägt, ist der verträumte Blick, mit dem er seinen kleinen Zeigefinger über seinen Kinderglobus gleiten lässt, genau weiß, wo seine Lieblingsinsel zu finden ist und in tiefster Überzeugung verspricht: "MADAGASKAR - Da will ich wieder hin!"