Mein 8. Jahr

Das Jahr 2019 startete turbulent mit einem absoluten Ausnahmezustand, der mir eine kleine berufliche Auszeit verschaffte, um mich zu Hause voll und ganz meinem Hobby des Rollenspiels zu widmen...


Schneefrei

Am Ende der Weihnachtsferien kam der Schnee zu uns. Solche Massen von Schnee, dass ich darin bis zur Hüfte feststeckte und im ganzen Landkreis Katastrophe ausgerufen wurde! Für alle Kindergarten- und Schulkinder war das super, denn es gab 2 ganze Wochen schneefrei und wir durften zuhause bleiben.

Papa durchkämmte vergebens sämtliche Baumärkte der Umgebung nach einer neuen Schneeschaufel, weil er unsere Hölzerne im Eifer des Gefechts zerbrochen hatte.

Als er schon fast aufgeben wollte, sah er sie: Die Letzte ihrer Art! Ein blechernes Teil, deren innovative Schaufelkonstruktion sogar patentiert war! Der Fortschritt hatte natürlich seinen Preis, aber was tat Papa nicht alles, um sein marodes Carport von der mittlerweile schwer vereisten Schneelast zu befreien!

 

Mein Superheld Papa stieg martialisch über die angelehnte Leiter auf unser klappriges Garagendach und ließ ordentlich die Muskeln spielen, sodass die Eisbrocken nur so herumflogen. Papa zeigte der patentierten Schneeschaufel ordentlich, wo der Hammer hängt! Doch plötzlich hatte er nur noch den Stiel in der Hand.

"Welcher Depp hat die Schaufel mit 2 Flügelmuttern designt, die sich ständig durch den Schneekontakt lockern?!" erzürnte sich Papa und wurde puterrot im Gesicht, während er den Schnee nach den verschollenen Schrauben absuchte. "Ja, so ein patentiertes System hat schon was!" goss Mama Öl ins Feuer. Der Rest der Szene, die sich in unserem Garten abspielte, wurde aus Jugendschutzgründen zensiert. Papa war nicht mehr Herr seiner Sinne und nutzte diese Energie für einen weiteren Baumarktbesuch, um das Corpus delicti gegen eine solide 0815-Schneeschaufel ohne Patent einzutauschen. Und wenn sie nicht zerbrochen ist, dann schaufelt sie noch heute...

 

Mir war während der Schneefrei-Zeit so langweilig ohne meine Freunde im Kindergarten! Ich hatte überschüssige Kräfte wie mein Held Spiderman und wusste einfach nicht, wohin mit meiner Energie. Papa war wieder unterwegs und so ernannte ich Mama zu meiner Hofnärrin, die mich nach meinem Plaisir ganztags unterhalten durfte.

Nach 2 Wochen unverhoffter Ferien wollte Mama selbst den Katastrophenalarm auslösen und betete täglich für Tauwetter. Wir hatten gespielt, gebastelt, gemalt, gezählt, geschrieben, gebaut, gebadet, gewandert und geturnt - Mamas Repertoire war erschöpft, ebenso sie selbst. Geistig stand es auch nicht mehr zum Besten mit ihr - sie vergaß den Herd und heizte unser Erdgeschoss mittels unserer Wokplatte auf Saunatemperaturen. Einmal hörte ich sie zu Papa sagen, dass ihre letzte Gehirnzelle beim Duplotürme bauen nun auch noch über den Jordan gegangen sei. Papa sah im Verlust von Mamas Resthirn keine ernsthafte Beeinträchtigung unseres Lifestyles: "Glücklicherweise sitzen wir abends selten Cognac schwenkend vor dem Kaminfeuer und rezitieren Camus! Solange es für die Kleine Raupe Nimmersatt reicht, kannst Du es geistig immerhin noch mit George W. Bush aufnehmen!"

 


Die Bretter, die die Welt bedeuten

Das größte Reise-Foto-Festival Deutschlands, die Mundologia in Freiburg, hatte unsere Live-Reportage "AFRIKA - Unterwegs im Wilden Süden" gebucht und ich sollte erstmals mit auf die große Bühne. 1800 Zuschauer und diese gigantische Bühne, ich selbst so winzig klein - zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich Lampenfieber und kotzte schon frühmorgens vor Aufregung in unseren VW-Bus!

 

Mama ging es nicht viel anders. Seit meiner Geburt ist sie nicht mehr sehr oft bei den Liveauftritten dabei und so war dieser Auftritt für sie eine Art berufliche Eingliederungsmaßnahme nach der Elternzeit. Meine Nervosität war wie weggeblasen, als ich die Bretter, die die Welt bedeuten, betrat und die Zuschauer lässig mit einem "Hallo Leute!" begrüßte. In der Pause und nach dem Vortrag durfte ich dann noch Bücher und Bildbände signieren und FLO reinschreiben. Ich war sehr stolz, weil ich schon so gut meinen Namen schreiben konnte und deshalb viele Leute meine Unterschrift als Andenken haben wollten. Ich habe definitiv Blut geleckt - schon bald will ich Papa wieder auf die große Bühne begleiten, auf die Dauner Naturfototage im März.


Auf Durchzug

"Diese Wat?-Fragerei treibt mich noch in den Wahnsinn!"  sagte Mama und kritisierte damit meine investigative Art, den Dingen auf den Grund zu gehen. Böse Zungen behaupteten gar, ich würde absichtlich auf Durchzug schalten und mich vor Antworten drücken. Ein Hörtest erbrachte dann den ultimativen Beweis, dass mich Mama zu Unrecht bezichtigte, selektiv nur das zu hören, was ich auch hören wollte. Tatsächlich hatte ich Flüssigkeitsansammlungen hinter den Trommelfellen. Nun war es amtlich und ärztlich verbrieft: Ich musste operiert werden!

 

Für alle Beteiligten ein Schlag in die Magengrube, denn mussten tatsächlich Paukenröhrchen in die Trommelfelle gesetzt werden, bedeutete dies 6 Monate Schwimmverbot für mich. Mein Lebenselixier einfach aus dem Stundenplan gestrichen?! Nicht nur für mich war das die unvorstellbare Höchststrafe. "Da bleibt im Sommer nur eine Reise in die Arktis, wenn wir nicht alle durchdrehen wollen!" fasste Mama die prekäre Lage zusammen und Papa nickte bedeutungsschwanger dazu.

 

Am Tag der OP heulte Mama schon los, als sie mich in den Autositz schnallte. Sie tat ganz so, als würde sie mich zum Einschläfern bringen - nicht sehr beruhigend. Papa verstand die Aufregung, denn schließlich hatte ich bei meiner Darmbiopsie schlecht auf das Narkosemittel reagiert und Mama graute deshalb davor, mich allein in den OP zu verabschieden.

 

"Das Mittel wirkt wie 18 Halbe!" sagte die resolute OP-Schwester, die mir den Schlafmittel-Cocktail eine halbe Stunde zuvor verabreicht hatte und klopfte Mama beruhigend auf die Schulter. Ich hing lallend auf Papas Arm und nahm das brüllende Kind, das neben mir gerade aus der Narkose erwachte, durch einen Nebel der Gleichgültigkeit wahr. "Im OP gibt´s noch eine Ladung Propofol und in 40 min ist er wieder bei ihnen!" vervollständigte die Schwester ihre OP-Vorbereitung. "Oh toll, Propofol!" sagte Papa und hörte sich an wie ein Narkosemitteljunkie oder irrer Michael Jackson-Fan - dabei wollte er doch nur ein bisschen mit seiner Darmspiegelung angeben. "Mich interessiert nur, ob Rohr oder nicht!" sagte Mama gereizt. Mit ihren Nerven stand es nicht zum Besten, aber ihre Beschwörungsformeln zeigten rückblickend Wirkung: Ich bin den Paukenröhrchen nochmal von der Schippe gesprungen! Der Sommer und mein geliebtes Schwimmbad können kommen...

 


Vor dem Ernst des Lebens

Ein Männlein steht im Blumenwald und jammert, denn´s ist bitterkalt!

Im Ernst: Papa und ich sagen immer, dass wir Männer nicht für Kälte gebaut sind und Mama würde uns dann alle beide am liebsten auf direktem Wege ins Polarmeer schießen und die Stille genießen. Jetzt haben wir uns im April nach Sardinien gebeamt, um dem Wechselwetter in unserer Heimat zu entgehen und dann stehen wir wieder da und klappern mit den Zähnen!

"Könnt ihr nicht mal über diese Farbenpracht staunen ohne zu meckern?" fragt Mama empört. "Genieße die Zeit vor dem Ernst Deines Lebens!" fügt sie mit hochgezogenen Augenbrauen an mich gewandt hinzu und protzt damit mal wieder altklug mit ihrer Lebenserfahrung. Was soll überhaupt der Ernst des Lebens sein? Glaubt mein Personal, bloß weil ich an einen Ort namens Schule gehen soll, dass ich deshalb so ein mit hängenden Mundwinkeln dreinblickender Erwachsener werde und unheilsschwanger Lebensweisheiten von mir gebe wie Mama?

 

Wenigstens den Osterhasen hatte der Wind nicht vom Tafelberg geweht: Meine Sorgen, dass die Wildpferde auf der Giara di Gesturi die Ostereier vor mir gefunden haben könnten, waren unbegründet. Nicht nur Mama hasst es, wenn ihr der Wind die langen Haare von hinten in die Augen weht, sondern auch die Wildpferde sind keine Fans von Sturmfrisuren - klarer Vorteil für mich, denn wo kein Pferd, da viele bunte Schokoeier!

 

Langsam fing ich an, den Wind zu lieben, denn man konnte ihn auch zu seinem Vorteil nutzen und lustiges Eltern-Dekorieren zum Zeitvertreib spielen....

Wir sind gewandert, geklettert, haben im frostigen Meer gebadet und unseren Campingtisch und die Stühle an den schönsten einsamen Plätzen herausgeholt und die Freiheit genossen. Aber wenn ich heute gefragt werde, was mein schönstes Ferien-Erlebnis war, sage ich wie aus der Pistole geschossen: "Ich will wieder nach Sardinien und Tomatensalat mit Mama machen!" Meist schauen alle dann ganz verdattert, denn das könnte ich ja auch daheim jeden Tag mit Mama machen. Aber nirgends sonst auf der Welt habe ich mich so schön in den Finger geschnitten wie in unserer Ferienwohnung im Urlaub, wo ich endlich mal statt des stumpfen Kindermessers richtiges Werkzeug zur Hand hatte. Narben, die das Leben schreibt - nur die Harten kommen schließlich in den Garten!


Abschied

Als sich der Herbst langsam über den Chiemgau senkte, schwante mir, dass mein weiterer Weg nun tatsächlich steiniger werden könnte. Meine unbeschwerte Zeit des wonnevollen Nichtstuns wurde mir genommen und es hieß endgültig Abschied nehmen von der Vorschule. Katharina, Betina, Kati und Karin waren viel mehr als meine Betreuer gewesen - sie waren für mich Familie und jetzt sollte ich ohne sie weitergehen! Der Abschied brach mir ein Stück von meinem Herzen raus, bis Mama sagte: Genug getrauert, das Kind muss sich bewegen!

 

Sie trieb mich den Hochfelln rauf und runter, doch auch das konnte mich nicht mehr von dem Damoklesschwert ablenken, das über mir schwebte und Neuanfang hieß!


Der Ernst ist da

Rückblickend betrachtet würde ich über meine bisherige Schullaufbahn Folgendes zu Protokoll geben: Euphorischer Start und rasche, nachhaltige Erkenntnis, das einem der Ernst des Lebens so richtig den Vormittag versaut! Wo bleibt mein geliebter "Schabernapp", wenn ich mir plötzlich in meine Witzecke im Gehirn das ABC und Zahlen packen soll? ABC-Schütze? - Was für ein dämliches Wort! Als ob das mein Volltreffer im Leben wäre! Stattdessen haben wir jetzt den ABC-Salat! Da hilft es auch nichts, dass meine Lehrerin nicht Fräulein Rottenmeier ist und auch nicht die Prusselise! Es liegt einfach daran, dass Schulkram stinklangweilig und unnötiger Ballast fürs Hirn ist! Und meine Witzecke behalte ich...


Die Geburtsstunde des Rastazebras

Mein Highlight im Jahr 2019 war definitiv, als ich von Rodscha aus Kambodscha und Tom Palme auf ihrem tollen Livekonzert beim Münchener Tollwood auf die Bühne geholt wurde und mit ihnen vor allen Leuten "Ich bin ein Gespenst!" singen durfte. Das eigentliche Highlight kam danach, als sie mir eine DVD mit ihren schönsten Liedern überreichten und ich mich vor Freude fast bepinkelt hätte! Meine Begeisterung war so ansteckend, dass alle Mamas, Papas und Kinder sich mit mir freuten, dass ich so ein tolles Geschenk bekommen habe. Meine Mama wischte sich schnell eine Freudenträne aus den Augen, weil es nicht so oft passiert, dass alle mit mir lachen. Inklusion ist leider in Deutschland manchmal nur ein Wort und Menschen glauben, wenn sie sich 1 x im Jahr bunte Socken für uns anziehen, ist ihr Engagement erledigt. Mein Leben ist aber jeden Tag bunt und anders und als größter Fan von Rodscha und Tom lebe ich seither als Rastazebra weiter!


Als hätten wirs geahnt

Meine Lieblingsmenschen um mich zu haben, ist in meinem Leben das Allerwichtigste. Wenn wir zusammen sind, kuschle ich jedes Mal mit Oma, als gäbe es kein Morgen.

Zu diesem Zeitpunkt wussten wir auch noch nicht, dass es das tatsächlich bald nicht mehr geben würde:

Das Jahr 2020 sah nur auf dem Papier gut aus....

Hätte mir ein Wahrsager gesagt, dass ich 2 Jahre lang nicht mehr mit meiner lieben Oma lachen und leben darf, hätte ich meinen Lieblingsspruch für ihn ausgepackt: "Bist du bescheuert?!"


Und wieder ist ein Jahr vollbracht

Wieder ein Geburtstag ohne Papa, der in Äthiopien auf dem Erta Ale mit einer Fotogruppe abhängt! Mama gibt sich die größte Mühe, mir einen tollen Geburtstagsmorgen zu bereiten und ist extra früh aufgestanden, um alles vorzubereiten. Aber Papa fehlt einfach zu meinem Glück. Er hat mir Kion, den Löwen, gekauft, weil wir uns frisurtechnisch sehr ähnlich sind und ich Kions Mut und Stärke bewundere.


Ein bisschen Kultur

Von meiner besten Freundin Alva und ihrer Mama Steffi habe ich einen Ausflug ins Landestheater Salzburg geschenkt bekommen. Wir residieren in einer Viererloge mit Samtstühlen, über uns der riesige, funkelnde Kronleuchter und ich bin einfach nur glücklich, das wir in diesem Augenblick zusammen sind und einen wunderbaren Vorweihnachtstag in Salzburg gemeinsam verbringen. Miteinander ist alles!

Nach dem Schlussapplaus, weiß ich wieder, was meine Bestimmung ist. Der Kobold mit dem roten Haar ähnelt meinem Wesen ebenso wie das Rastazebra!

 

Vielleicht werde ich im Jahr 2020 als schwarz-weiß gestreifter Kobold mit regenbogenbunten Struwelhaaren durch unser Haus geistern und Schabernapp verbreiten...

 

Türen zusperren und die Schlüssel verstecken sowie Klotüren aufsperren, wenn jemand auf dem Pott sitzt, mache ich übrigens immer noch für mein Leben gerne!