Mein Zweites jahr


Zusammen leben, lernen, lachen - ist das nicht der Sinn, warum wir auf dieser Welt sind? Meine Familie, meine Opas und meine Oma sind die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Auf sie ist immer Verlass. Sie sind da, wenn ich sie brauche. Oma hat meiner Mama nach meiner Geburt versprochen, dass wir alles gemeinsam hinbekommen und sie hat ihr Wort noch nie gebrochen. Dafür liebe ich sie heiß und innig!

Mein Cousin Mo ist leider kurz nach meiner Geburt mit seinem Papa und seiner Mama für drei Jahre nach China ausgewandert, weil sein Papa dort einen Job zu erledigen hatte. Das war sehr schade, weil ich ihn leider nur an Weihnachten und in den Sommerferien treffen konnte.

 

Ich finde Mo toll - er ist mein großes Vorbild!


Down Syndrom-Familientreff

Anfang 2013 hatte der Bunte Kreis Traunstein die Idee, ein Treffen für Familien mit Kleinkindern, die das Down Syndrom haben, ins Leben zu rufen. Mama hielt das für eine tolle Idee und erklärte sich spontan bereit, die Organisation und Durchführung der Treffen zu übernehmen. Seitdem kommen wir etwa 4 Mal im Jahr alle zusammen, um unsere Erfahrungen auszutauschen oder einfach nur über Dies und Das bei einem gemütlichen Kaffee zu plauschen. Die Treffen erfreuen sich wachsender Beliebtheit und wir dürfen erfreulicherweise immer wieder Neuzugänge begrüßen. Jede Familie ist besonders und hat ihre ganz eigene Geschichte. Mama ist sehr froh, dass sie durch mich all diese besonderen Menschen kennen lernen durfte. Immer wieder zeigt sich, dass wir E-XXX21-tra-Menschen (entgegen der Lehrmeinung) nicht über einen Kamm geschoren werden können. Wir sind Individuen wie jeder Mensch  - mit Stärken und Schwächen.


Das fängt ja gut an

Das neue Lebensjahr startete mehr schlecht als recht für mich: Influenza mit 41 °C Fieber und dann auch noch der RS-Lungenvirus, der mich fast ins Krankenhaus gebracht hätte. Meinen Babyschwimmkurs konnte ich vergessen, stattdessen musste ich dreimal am Tag Cortison inhalieren. Das habe ich abgrundtief gehasst und mich mit allen Mitteln gesträubt. Mama war aber unerbittlich. Sie hat gesungen und Geschichten erzählt, damit die Zeit schneller vorbei geht und ich die gräßliche Atemmaske nicht mehr so merke, die mich wieder an die schlimme Zeit auf der Intensivstation erinnerte.

Irgendwann gingen auch diese Sorgen vorbei und ich erholte mich langsam. Mein Immunsystem ist eben nicht ganz so fit wie das meiner "Normalo"-Freunde, deswegen brauchen meine Eltern immer etwas mehr Nerven und Geduld, bis ich wieder ganz gesund bin.

Papa musste wieder nach Afrika und Mama und ich waren mehr als urlaubsreif. Deshalb packte sie im Frühjahr unsere Koffer und wir reisten in die Sommerfrische zu Oma und Opa nach Oberfranken.


Ferien im Bier- und Bratwurstland

Bei Oma und Opa schaffte ich es dann 3 Monate nach meinem 1. Geburtstag endlich, den Hintern hochzubekommen. Ich schrubbte nicht länger mit meinem Bauch den Boden, sondern krabbelte schnell wie ein Wiesel. Jetzt konnte ich alles erreichen. Man beachte Opa´s zugeklebten Lautsprecher im Hintergrund! Er hatte so ein schönes Loch, dass ich sehr zu Opa´s Leidwesen all meine Bauklötze darin versenkt habe!


Ich mach´s auf meine Art

Genauso wie ich den Hintern hoch bekam, als ICH es selbst wollte, mache ich es mit allem im Leben. Wenn ich etwas will, schaffe ich es. Wenn ich etwas nicht will, dann kann mich nichts und niemand überzeugen, es trotzdem zu tun. Ist mir jemand sympathisch, dann blinzle ich ihm zu oder werfe ihm sogar Luftküsse hinterher. Wenn ich jemanden nicht mag, wird es schwierig. Viele Menschen sagen über uns E-XXX21-tras, dass wir alles und jeden umarmen und abknutschen, weil wir so ein sonniges Gemüt hätten. Aber das stimmt nicht - wir können sehr wohl unterscheiden, was gut oder schlecht für uns ist!  Das betrifft nicht nur Menschen, sondern auch Dinge, die von uns erwartet werden. Ich entscheide selbst, sie zu tun oder auch nicht. Zum Beispiel hat man mir 1 Stunde Ergotherapie in der Woche aufgedrückt. Ich habe aber nicht immer dann Lust, etwas zu spielen, wenn es von mir erwartet wird. Ich lege mich dann einfach auf den Boden und spiele "toter Mann". Wenn man versucht, mich aufzuheben, werde ich zur wabbeligen Qualle und lasse mich partout nicht aufrichten. Mama nervt es furchtbar, wenn ich das durchziehe! Denn sie saust extra einmal die Woche zur Therapie mit mir,  damit ich etwas dazu lerne. Aber ich lerne, wenn es mir passt und nicht, wenn andere das von mir erwarten!


Das Glück der Erde

Das größte Glück der Erde liegt für mich tatsächlich auf dem Rücken von Pferden. Wenn ich mit Opa und seinem Pferd Billy über die Wiesen galoppiere, kichere ich vor Vergnügen. Mama steht dann wie ein Nervenbündel irgendwo in der Landschaft und stirbt tausend Tode - immer bereit Erste Hilfe zu leisten ;-) Ich wünschte, dass Reittherapie nicht so teuer wäre, denn das würde ich sofort gegen jede andere Therapie der Welt eintauschen. Mein ganzes Leben dreht sich um Pferde - mein Schaukelpferd, meine Pferdebücher, mein Spielzeugstall. Ich bin froh, dass wir auf dem Land wohnen. Jeden Samstag zwinge ich Oma oder Mama zu den Koppeln und Stallungen bei uns in Bergen. Dann beobachte ich, wie die Pferde fressen und ausgemistet werden. Das wird nie langweilig. Ohne das geht nichts!


Reiseleidenschaft

In meinem 2. Lebensjahr entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Reisen. Da habe ich zu 100 % die Erbmasse meiner Eltern! 

Meine Mama erinnert sich noch sehr genau, wie die Pränataldiagnostikerin aus München ihr damals die Fruchtwasseruntersuchung nahe legte: "Sie können Ihr bisheriges Leben mit all Ihren Reisen komplett vergessen, falls Sie ein Kind mit Down Syndrom bekommen!" 

Änderte sich das Leben denn nicht sowieso erst einmal von Grund auf, wenn ein Kind geboren wird? Wieso sollte Reisen mit einem E-XXX21-tra-Kind weniger möglich sein, als mit einem "normalen" Kind?

 

 Ich bin jedenfalls mit Mama und Papa nach Andalusien geflogen, weil sie mit mir lieber erst einmal einen Kurzstreckenflug testen wollten. Den Hinflug nahm ich total routiniert und war so vertieft in mein Wimmelbuch, dass ich Start und Landung glatt verpasste.

 

Das Reisen eröffnete mir neue Horizonte:  Ich feierte meinen zweiten Geburtstag in einem Lehmhaus in Spanien und eines Tages stand ich einfach auf und begann zu laufen, weil mir der Strand so gut gefiel! Ich hatte von einem Tag auf den anderen einen Meilenstein in meiner Entwicklung zurück gelegt - weil ICH es wollte!

Deswegen war dann auch der Rückflug nicht ganz so entspannt. Wie kann man angeschnallt sitzen bleiben, wenn man zwei funktionierende Füße hat, um das Cockpit zu erkunden? Ich war kaum zu bändigen und alle waren nach dem 2-stündigen Flug so entnervt, dass sie beschlossen, den Langstreckenflug nach Afrika vorerst auf unbestimmt zu verschieben!